Zum Abschluss der Veranstaltung plane ich am 21.11.2014 die Besichtigung des Siemens Gasturbinenwerkes, Huttenstr. 12, 10553 Berlin.

Das Siemens Gasturbinenwerk in Berlin ist gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. In der Huttenstraße, im Stadtteil Moabit, unmittelbar umgeben von Wohnhäusern, liegt das rund 130.000 Quadratmeter große Gelände des Standortes, an dem 3.500 Menschen beschäftigt sind. Als der Betrieb vor über 100 Jahren gegründet wurde, war hier mehr oder weniger freies Feld, heute ist es einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile Berlins. An die Frühzeit des Unternehmens erinnert die alte Turbinenhalle, ein beeindruckendes Industriedenkmal mit gigantischen Ausmaßen. Die Bezeichnung „Industriedenkmal“ darf allerdings nicht falsch verstanden werden: Die Halle ist alles andere als ein Museum. Auch heute noch werden hier Turbinen montiert. Früher waren es Dampf-, jetzt sind es Gasturbinen, und zwar die leistungsstärksten und umweltfreundlichsten der Welt.


Die letzte Neuentwicklung heißt SGT5-8000H und wird am Standort allgemein liebevoll nur „Eytsch“ (englische Aussprache des Buchstabens H) genannt. Die „Eytsch“ ist mit 375 Megawatt (MW) die leistungsstärkste Gasturbine der Welt. Sie wird aus mehr als 7.000 Einzelteilen zusammengebaut und ist mit 13 Metern Länge, fünf Metern Höhe und einem Gewicht von über 440 Tonnen gigantisch groß. Wird die Gas- mit einer Dampfturbine gekoppelt, wie bei den Energieerzeugern weltweit allgemein üblich, können Leistungs- und Wirkungsgrad noch deutlich gesteigert werden. Bei Testläufen im bayerischen Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk Ulrich Hartmann (vormals Irsching 4) hat Siemens mit einer Leistung von 578 MW und einem Wirkungsgrad von 60,75 Prozent Technikgeschichte geschrieben und einen Effizienz-Weltrekord aufgestellt.

Mit diesem Wirkungsgrad“, sagt Sonja Schönemann von der Standortkommunikation, „stoßen wir an ein Limit, bei dem die heutigen Werkstoffe und Materialien weitgehend ausgereizt sind“. In diesen Bereichen sei jedes halbe Prozent nahezu ein Quantensprung. Die Kraftwerksbetreiber sparen dadurch enorm viel Gas. Darüber hinaus würden im Vergleich mit derzeit gängigen Turbinen rund 43.000 Tonnen weniger CO2-Emissionen pro Jahr anfallen. Somit setze diese Gasturbine auch in Sachen Umweltschutz weltweit Maßstäbe. Energie erzeugt das Aggregat dabei natürlich auch. Und zwar genug, um die Bevölkerung einer Stadt von der Größe Berlins mit Strom zu versorgen

Um in solche Leistungssphären vorzustoßen, sind innovative Fertigungstechnologien unverzichtbar. Ein Beispiel ist die Herstellung keramischer Hitzeschilde für die Brennkammern von Gasturbinen. Wurden die vor einigen Jahren noch von dem Ausrüster der amerikanischen Space-Shuttle-Raumfähre zugekauft, haben die Ingenieure in Moabit mittlerweile eigene hocheffiziente Kacheln entwickelt, die zur Isolation der heißen Brennkammerwände eingesetzt werden. „Die keramischen Hitzeschilde senken im Vergleich zu offen gekühlten metallischen Auskleidungen den Kühlluftverbrauch der Turbine und damit den Ausstoß an Stickoxiden – das ist ebenfalls ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz“, erklärt Schönemann. Diese Fertigungstechnologie wurde übrigens mit dem Innovationspreis Berlin-Brandenburg ausgezeichnet.

Dass Gasturbinen in einzigartiger Weise den klassischen Schwermaschinenbau mit hochmoderner Fertigungstechnologie verbinden, wird jedem Technikinteressierten in den Montagehallen eindrucksvoll vorgeführt. Tonnenschwere und winzige Bauteile werden hier mit Uhrmacherpräzision zusammengefügt. Beispielsweise bei der Montage der Läufer, den mit Schaufeln bestückten, rotierenden Herzen der Turbinen. Die haben jeweils ein Gesamtgewicht von gut 100 Tonnen. Diese Giganten rotieren im Betrieb mit 3.000 Umdrehungen pro Minute. Dabei entstehen unglaubliche Fliehkräfte. Der Spalt zwischen den Schaufelspitzen, die durchaus Schallgeschwindigkeit erreichen können, und dem Gehäuse, darf dennoch nur wenige Millimeter betragen, da hiervon der Wirkungsgrad abhängt. Trotz der enormen Masse ist höchste Präzision gefragt. „Beim Montieren der tonnenschweren Komponenten entscheiden Bruchteile von Millimetern, ob die Turbine im Kraftwerk optimal läuft oder nicht“, so Schönemann. Die Kunden kämen extra nach Berlin, um bei den zentralen Spaltmessungen dabei zu sein.

Mehrere Monate benötigen die Ingenieure und Techniker für die Herstellung einer Gasturbine. Entscheidend sind dabei vor allem die Turbinenschaufeln, wie Schönemann erläutert: „Das sind technische Meisterwerke, die höchste Präzision und Leistung vereinen“. In einer Gasturbine befinden sich rund 2.400 Schaufeln, auf der Luftansaugseite als Verdichter, auf der anderen Seite als Antriebsschaufeln. Die werden im Betrieb extrem beansprucht. Denn im Inneren der Turbine herrschen teilweise Temperaturen von rund 1.500 Grad Celsius, was nahe am Schmelzpunkt von Stahl ist. Dieses heiße Gas trifft mit einer Geschwindigkeit von 100 Metern pro Sekunde auf die erste Reihe der Antriebsschaufeln. Doch selbst diese extremen Bedingungen lassen die Schaufeln „völlig kalt“. Die sind nämlich mit einer Spezialkeramik beschichtet und haben zahlreiche kleine Löcher, die eine perfekte Luftkühlung ermöglichen. Eine einzige dieser Schaufeln, die rund 30 Zentimeter lang sind, hat eine Leistung von zwei MW – das entspricht der Leistung von elf Porsche Turbo. Der Preis einer solchen Schaufel liegt etwa bei dem eines Mittelklassewagens.

Die Kunden weltweit schätzen die Anlagen aus Moabit. Denn gasbetriebene Stromerzeuger gelten nicht erst seit der Atomkatastrophe von Fukushima als wichtiger Teil der Energiepolitik. Sie sind hochflexibel und können in rund 15 Minuten hochgefahren werden. Andere Kraftwerke brauchen dafür ein Vielfaches an Zeit. Da Gasturbinenkraftwerke nicht nur emissionsarm sind, sondern vor allem sehr flexibel betrieben werden können, bilden sie zudem eine ideale Ergänzung zu Wind- und Solaranlagen. Aufgrund der damit verbundenen guten Marktchancen haben die Verantwortlichen in den vergangenen vier Jahren rund 100 Millionen Euro in den Standort investiert. Unter anderem in die Schaufelfertigung, in ein neues Prüffeld und – wieder ein Superlativ – in Europas größtes Bohrwerk. Das ist eine riesige Maschine, mit der an den ebenfalls riesigen Turbinengehäusen gefräst und gebohrt werden kann.